Corona und Pflege
in Deutschland
Eine Frau, schwarze Lederjacke, lange braune Haare, fester, direkter Blick. Auf ihrer Atemschutzmaske steht: “Proud to be a nurse“. Über das Statement, das sie mitten im Gesicht trägt und die Situation in deutschen Krankenhäusern, sprechen wir mit der ehemaligen Gesundheits- und Krankenpflegerin und Palliativexpertin Nadine Lexa.
Ein Virus hat unser Leben verändert. Es lässt uns die Dinge mit mehr Bedacht tun – und mit Abstand und Maske. Wie gehen Pflegefachkräfte mit der neuen Normalität um?
Nadine Lexa arbeitet heute als Buchautorin, Lehrbeauftragte, Auditorin und Stadträtin. Den Kontakt zu Pflegeeinrichtungen hält sie bis heute. Sie weiß mit welchen Schwierigkeiten und Unzulänglichkeiten das Personal im Pflegebereich zu tun hat – und das nicht erst seit Corona.
Darüber und wie echte Wertschätzung des Pflegefachpersonals aussieht, spricht sie im Interview.
Wie hat die Corona-Pandemie die Pflege in Deutschland beeinflusst? Hygiene ist und war schon immer ein Muss. Hat sie mittlerweile einen noch höheren Stellenwert bekommen und wird sie heute noch gewissenhafter umgesetzt als vor Ausbruch der Corona-Pandemie?
Ich habe zahlreiche Kontakte zu professionell Pflegenden und sie berichten von zum Teil sehr großen Belastungen, weil schlichtweg Ressourcen fehlen. Zusätzlich nimmt die Einhaltung der neuen Hygienevorgaben mehr Zeit in Anspruch. Hinderlich ist nur dabei, dass sie recht viel Platz für die Auslegung lassen und so kommt es oft zu einem Abwägen wie sie konkret in die Praxis umzusetzen sind. Das handhabt jedes Krankenhaus und jede Pflegeeinrichtung in Deutschland etwas anders.
Auf jeden Fall haben die Hygienevorschriften auch Auswirkungen auf betagte und/oder demenziell beeinträchtigte Menschen. Das Wahrnehmen von Mimik und Gestik ist mit Mundschutz weitaus schwieriger, aber für die Verständigung mit Pflegeheimbewohnern und Bewohnerinnen sehr wichtig. Das fällt nun zu einem großen Teil weg. Der Zustand vieler älterer Menschen hat sich in der Corona-Pandemie verschlechtert, weil sie keinen oder später nur eingeschränkt Besuch empfangen durften. Das ist für Hochbetagte mit einem eingeschränkten sozialen Netzwerk nur schwer aushaltbar. Es gibt Menschen, die sagen „Lieber sterbe ich an Corona als an Einsamkeit.“
Welchen Stellenwert hat Ihrer Meinung nach der Pflegeberuf heute im Vergleich zu vor der Corona-Pandemie. Vielerorts ist – glücklicherweise – der Ansturm auf Krankenhausbetten und Beatmungsstationen ausgeblieben. Der allabendliche Beifall ist verhallt. Die Bundesregierung hat Pflegekräften bis zu 1.500 Euro Bonus versprochen – steuerfrei und bis Mitte Juli.
Der versprochene Bonus hat lange auf sich warten lassen. Bayern war das erste Bundesland in dem die Leistung von Pflegekräften honoriert wurde – mit 500 Euro. Endlich liegt ein Konzept von Krankenhäusern und Krankenkassen vor, wie Pflegekräfte im Krankenhaus für ihren Einsatz entlohnt werden sollen. Es gibt zwar viel Unverständnis beim Pflegefachpersonal darüber, dass die Anerkennung so lange auf sich warten lässt, aber das entlädt sich zumeist in den sozialen Medien. Manchmal wundere ich mich darüber, dass der Unmut nicht auch auf die Straße getragen wurde, um die finanzielle Anerkennung vehementer einzufordern. Jetzt ist genau der richtige Zeitpunkt, um sich Gehör zu verschaffen. Deshalb habe ich auch gern bei dem Fotoprojekt für die Kindertafel in Würzburg mitgemacht bei dem das Bild von mir mit Maske und der Botschaft "Proud to be a nurse" entstanden ist.
Was hat sich an Hygiene-Konzepten verändert?
Hygiene-Konzepte sind umfangreicher geworden. Die Vorschriften kommen von den Ländern und vom Bund und bergen, wie bereits gesagt, viel Interpretationsspielraum, was die Arbeit in den Einrichtungen nicht erleichtert.
Inwiefern werden Pflegeheime und Palliativzentren heute von der Politik unterstützt im Vergleich zu vor der Pandemie? Und inwieweit können Sie als Würzburger Stadträtin auf bessere Arbeitsbedingungen und Ausstattungen in den Pflegeeinrichtungen Einfluss nehmen?
Auf die Arbeitsbedingungen und die Ausstattung habe ich als Kommunalpolitikerin hier in Würzburg keinen Einfluss, da wir keine kommunalen Krankenhäuser und Pflegeeinrichtungen haben. In anderen Kommunen ist das anders. Hier in Würzburg können wir bei einigen Vorgaben eingreifen und Anweisungen anpassen, wenn sie uns sinnvoll erscheinen. Eine Regelung lautete zum Beispiel, dass der Besuch eines Verwandten pro Bewohner gestattet sei. Was ist mit Menschen, die keine Verwandten mehr haben? Das haben wir angepasst und in „nahestehende Person“ umgewandelt.
Das durchschnittliche Bruttoentgelt von Helfern in der Altenpflege lag im Jahr 2018 in Deutschland bei rund 2.041 Euro pro Monat.
Quelle: Statista
Wie gerecht ist das deutsche Gesundheitssystem? Was muss sich ändern? Wie sehen die Schritte bis dahin aus?
Zuerst müssen sich die Arbeitsbedingungen ändern. Es müssen verbindliche Dienstpläne her. Das ist machbar. Zudem braucht es ausreichend Hilfsmittel: zum einen muss ausreichend Schutzkleidung zur Verfügung stehen. Es gibt schließlich eine Fürsorgepflicht des Arbeitgebers. Das Heben und Tragen der Patienten muss erleichtert werden – Patiententransfers insgesamt. Zum anderen muss die Bezahlung angepasst werden. Es gibt Forderungen nach 4.000 Euro Lohn pro Monat, was ich unterstütze. Und schließlich müssen Hygienevorschriften ganz klar und eindeutig formuliert werden.
Welche persönlichen Lehren haben Sie aus den letzten Monaten für sich gezogen? Was haben Sie in Ihrem Alltag verändert? Gehen Sie mit ihren Mitmenschen und Liebsten anders um?
Ich bin viel sensibler im Umgang mit meinen Mitmenschen geworden. Ich umarme meine Freunde zur Begrüßung nicht mehr, halte Abstand und nehmen nun immer meine Maske mit, wenn ich aus dem Haus gehe. Als Stadträtin habe ich auch eine Vorbildfunktion, der ich nachkommen muss und will. Eigentlich bin ich ein sehr reisefreudiger Mensch, aber Reisen ins Ausland halte ich derzeit für zu gefährlich und bleibe lieber daheim.
Impfpflicht, ja oder nein? Und warum?
Ich denke die Entscheidung, sich gegen das SARS-Cov2 Virus impfen zu lassen, sollte jedem selbst überlassen werden. Immerhin sind laut einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Kantar zwei Drittel der Deutschen bereit, sich freiwillig impfen zu lassen. Wenn in bestimmten Regionen Covid-19 vermehrt verbreitet sein sollte, kann man sicherlich speziell für diese Gebiete über eine Impflicht nachdenken.
Titelbild: Thomas Berberich